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Software Beschaffungen im Dialog

10.10.2023

Beschaffungen von neuen Business Software Lösungen (bspw. ERP, CRM, DMS, PPS, GEVER, Fallbearbeitung, ELS) sind je länger je komplexer. Ist der Dialog die Methodenwahl der Stunde?

Daniel Frei, Simon Kunz (Autoren)

Seit einiger Zeit wird im öffentlichen Beschaffungswesen vom Dialogverfahren gesprochen. Im vorliegenden Blog referenzieren wir einige Male auf dieses öffentliche Beschaffungswesen. Doch haben wir den Anspruch, dass der Blog genauso gut einem KMU dient. Beispielsweise zur Beschaffung einer neuen Business Software, eines ERP-Systems oder dem Aufbau eines Public Private Partnerships.

Beschaffung mit Dialog

In der Einleitung nennen wir das Verfahren "Dialogverfahren". So wird es umgangssprachlich oft bezeichnet, auch wenn es kein eigenständiges Verfahren ist. Seit kurzer Zeit steht der Dialog als (neue) Variante offiziell zur Verfügung. Der Dialog als Wunderinstrument der Beschaffung? Ja – diese Vorstellung haben wir in den vergangenen Monaten einige Male angetroffen. Sowie die rasch einkehrende Ernüchterung nach den ersten Abstimmungen und Vorgehensabklärungen.

Voraussetzungen und Gemeinsamkeiten

Beschaffungen von neuen Business Software Lösungen, ERP-, CRM-, DMS-, GEVER - oder wie sie alle genannt werden - sind je länger je komplexer. Die Erwartungen an das Ergebnis der Beschaffung sind unterschiedlich und oft ziemlich hoch. Dabei wird das Ziel verfolgt, gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten. Somit sind wir bereits bei einer ersten wichtigen Voraussetzung angekommen.

Wer keine Erfahrung und keine Kultur des iterativen, agilen miteinander hat, für den wird die Beschaffung im Dialog eine ganz schwere Angelegenheit.

Kommen wir zum ersten gemeinsamen Nenner zwischen öffentlicher und privater Beschaffung. Oftmals ist es der Fall, dass wir den zu beschaffenden Gegenstand nicht genau spezifizieren können. Hier stellen sich einige Fragen, "Wie komme ich zum notwendigen Wissen?" "Wie prüfe ich die die Zusammenarbeit und Fähigkeit zur gemeinsamen Innovation?" Die Antwort: Wir müssen miteinander in den Dialog treten. Dabei können Vorschläge besprochen und Lösungswege gemeinsam entwickelt werden. Es handelt sich also um einen gemeinsamen Lernprozess. Dieser erhöht die Qualität der Lieferergebnisse, die Verbindlichkeit, die Berechenbarkeit und führt schlussendlich zu einem für beide Parteien wirtschaftlich günstigeren Angebot.

Viele langjährige Einkäufer werden jetzt mit Recht anmerken, dass die Anonymität dadurch nicht gerade hochgehalten wird. Wie jedes Verfahren und jede Methodik, bestehen auch hier Vor- und Nachteile. Für beide Parteien hat dies den Vorteil, dass sie ihre Dokumentationen zu Beginn nicht bis in die letzten Details erarbeiten müssen. Was in aller Regel so oder so nicht mehr zeitgemäss erscheint. Denn Qualität entsteht durch einen fortlaufenden und gemeinsamen Prozess und nicht durch ein Lastenheft mit dreistelliger Seitenanzahl.

Wann kommt der Dialog zum Einsatz?

Die Anwendung des Dialogs ist im öffentlichen Beschaffungsrecht auf die Beschaffung von komplexen oder intellektuellen (kreative, schöpferische) Leistungen begrenzt. Diese Regel können wir gut auf den Einkauf einer neuen Business Software durch ein KMU adoptieren. Ein Dialog eignet sich dann, wenn die Beschaffungsstelle objektiv nicht in der Lage ist, selbständig die beste Vorgehensweise festzulegen. Der Dialog ist beispielsweise prüfenswert, wenn eine passgenaue Software entwickelt werden muss. Dazu sind viel Kreativität und Innovation erforderlich und die geistige Leistung ist dabei wichtiger als die kurzfristigen Ergebnisse mit vermeintlich garantierten Rahmenbedingungen. Folglich wäre es wenig effizient, wenn dies ohne Dialog realisiert würde.

Was soll beachtet werden?

Mit dem Dialog treten Kunden und Lieferanten bereits in einer frühen Phase der Beschaffung in den gemeinsamen Austausch. Dabei ist die Vertraulichkeit weiterhin zu wahren. Schnell liegt der Vorwurf im Raum, einzelne Lösungsansätze aus dem Dialog unentgeltlich weiter zu verwenden. Ein guter Ansatz zeigt sich, wenn die Spielregeln in Bezug auf die Vergütungen im Voraus bekannt sind. Ohne die Zusicherung einer angemessenen Vergütung dürften Anbietende ohnehin kaum bereit sein einen vollumfassenden Beitrag, vielleicht sogar noch mit einem Prototypen, zu leisten. In der Regel beschränkt sich die Beschaffungsstelle auf den Dialog mit einigen wenigen Bezugsquellen, denn die Effizienz und Wirtschaftlichkeit ist beidseitig ein wichtiges Thema.

Die entsprechenden Auswahlkriterien sind sorgfältig zu gestalten und im Voraus bekanntzugeben. Ein echter Dialog geht weit über die heutigen Beschaffungsinhalte hinaus. Es ist ein Lern- und nicht wie weit verbreitet, ein reiner Prüfprozess. Es ist nicht "man zeige mir", es ist "mit welchem Partner gelange ich gemeinsam zur besten Lösung". Auch geht ein echter Dialog in der Regel über mehrere Runden, noch besser formuliert, über "Iterationen". 

Chancen und Merkmale einer erfolgreichen Zusammenarbeit

Chance 1 Vermeidung von Spezifikationen, welche inhaltlich am Ziel vorbeischiessen
Chance 2 Vermeidung von zu umfangreichen Spezifikationen, welche unvorteilhafte Anforderungen beinhalten
Chance 3 Wissen und Fähigkeiten der besten Marktplayer nutzen 
Chance 4 Fehleinschätzungen und unrealistische Vertragswerke vermeiden
Chance 5 Das Risiko einer Wiederholung oder eines Beschaffungsabbruchs minimieren
Chance 6 Die Partnerschaft nicht nur herbeireden, sondern vorleben
Merkmale

Die Merkmale einer erfolgreichen Team- und Zusammenarbeit bereits in der Beschaffungshase erfassen:

- Probleme und Fehler offen ansprechen

- Darauf achten, dass alle Mitglieder die bestmögliche Leistung erreichen

- Klarheit über Rollen, Prozesse & Ziele

- Bedeutsamkeit des Projekts

- Projektbeitrag und Einfluss auf die Organisation

 

Noch einmal zurück zu den Regeln der öffentlichen Beschaffung. Bei komplexen Aufträgen kann im Rahmen eines offenen oder selektiven Verfahrens ein Dialog durchgeführt werden. Auf den Dialog ist in der Ausschreibung hinzuweisen.

Anwendungsempfehlungen für den Dialog

Gerne geben wie hier einige Anwendungsempfehlungen aus unseren praktischen Erfahrungen bekannt. Selbstverständlich ist die Anwendung des Dialogs im Einzelfall zu prüfen und die entsprechenden Vor- und Nachteile sind  gegenüberzustellen. Ganz im Sinne von: "Das richtige Instrument für die konkreten Herausforderungen der durchzuführenden Beschaffung!"

  1. Klare Formulierung der Bedürfnisse und Anforderungen in den Ausschreibungsunterlagen
  2. Bekanntgabe der möglichen Inhalte des Dialogs
  3. Beschreibung, wie der Dialog durchgeführt wird
  4. Klären und Festlegen, wie die Nutzung der Immaterialgüterrechte sowie die Kenntnisse des Anbieters entschädigt werden
  5. Fristen und Modalitäten zur Einreichung des gültigen Angebots festhalten
  6. Kriterien für die Auswahl der im Dialog berücksichtigten Anbieterinnen definieren
  7. Vorgehen im Dialog zur Konkretisierung der Lösungswege festlegen
  8. Evtl. Aufteilung in verschiedene aufeinander folgende Phasen
  9. Vertraulichkeit und Gleichbehandlung sicherstellen (Aufgabe der Beschaffungsstelle)
  10. Keine Weitergabe von Informationen, welche den weiteren Verlauf negativ oder unfair beeinflussen
  11. An den Inhalt des Dialogs angepasste und geeignete Dokumentation sicherstellen
  12. Einen offiziellen Abschluss des Dialogs durchführen und erst dann die verbindlichen Angebote erstellen lassen

Zum Abschluss des Fachbeitrags noch ein weiterer, verbindender Aspekt von öffentlichen und KMU Beschaffungen. Die Komplexität kann natürlich auch eine Folge der Finanzierungslösung sein. Insbesondere bei Public Private Partnership Modellen. Dabei sucht die (public) Kundin von Anfang an Lösungswege, um die eigenen fehlenden Kenntnisse mittels (private) Partnerschaften zu kompensieren. Dabei sollen oder können keine vorgängigen Marktabklärung durchgeführt werden, da ja eben gerade die dazu erforderlichen Kenntnisse kundenseitig (noch) fehlen.