Navigation öffnen Navigation öffnen

Die Rolle von Prozessen bei Business Software-Evaluation und -Betrieb 

04.04.2024

Prozesse während Systemevaluation analysieren

Tobias Westarp (Autor) Daniel Frei (Peer-Review)

Die Digitalisierung ist oft anspruchsvoll und somit gut vorzubereiten. Für uns gehören strategische Fragestellungen genauso zur Vorbereitung wie die intensive Auseinandersetzung mit Prozessen. Die Ermittlung und Abstimmung erfolgskritischer Prozesse ist dabei entscheidend für die spätere Qualität der Business Software.

Unternehmen sehen sich oft mit der Herausforderung konfrontiert, dass sich die Mitarbeitenden an die seit Jahren bestehenden Prozesse gewöhnt haben. Dadurch gestaltet es sich deutlich schwieriger, die Chancen und Risiken für die Umsetzung der Prozesse in der neuen Business Software zu erkennen. Es besteht die Gefahr, dass Mitarbeitende die bestehenden Prozesse unverändert in das neue System übernehmen, ohne sie zu hinterfragen.  

Wie kann bei der Prozessaufnahme erkannt werden, welche Funktionalitäten bereits in einem Standard verfügbar sind? Welche spezifischen Anforderungen werden wohl darüber hinausgehen? Hierfür ist in der Regel die Expertise von Fachpersonen gefragt. In diesem Schritt der Systemevaluation Ressourcen zu sparen, zahlt sich selten aus. Es besteht die Gefahr, von Beginn an eine Unschärfe im Projekt mitzuführen, die nicht mehr ausgeglichen werden kann. Je später im Projektverlauf diese über- oder unterbearbeitenden Prozesse sichtbar werden, desto teurer wird es. Im besten Fall können Probleme mittels Change Requests behoben werden. Oft ist es jedoch so, dass das eine Problem das Nächste verursacht. Eine Anpassung hier, eine Anpassung dort und noch immer eine Prozessbaustelle – das war bestimmt nicht die Intuition. Ausserdem führen Anpassungen und damit notwendige Arbeiten zu zusätzlichen Kosten. Es kommt vor, dass Projekte so weit fortgeschritten (oder eben festgefahren) sind, dass sie abgebrochen werden müssen. 

Ich empfehle, bei der Systemevaluation die erfolgskritischen Prozesse detailliert und umfassend zu ermitteln, dokumentieren, prüfen und abzustimmen. Dabei sollten den möglichen Systemanbietenden die spezifischen Herausforderungen und nicht der Lösungsweg vermittelt werden.  

Verfügbare Techniken zur Prozessmodellierung sind zahlreich. Erfahrungsgemäss bilden ganzheitliche Darstellungskonzepte alle Sichten in einem einzigen Modell ab. Da in einem solchen Modell die Prozess-, Organisations-, Architektur- und Datensicht vereint dargestellt werden, nimmt auch die Komplexität rasch zu. Ohne hierzu weiter ins Detail einzutauchen, lässt sich erkennen, dass die angewendete Prozess-Modellierungstechnik die Anforderungen (mit-)beeinflusst. 

In meinen Projekten setze ich vermehrt Prozessmodellierungstools ein, um – falls noch nicht vorhanden – Ist-Prozesse abzubilden und zwecks Optimierung Soll-Prozesse zu modellieren. Die Prozessanalyse und -optimierung geschieht jedoch auch «in meinem Kopf». Dieser Prozess findet während den sogenannten Anforderungsworkshops statt. In diesen Workshops werden die Ist-Prozesse besprochen und daraus die relevanten Anforderungen im Hinblick auf die neue Business Software abgeleitet. Basierend auf meinem Wissen und meiner Erfahrung aus bisherigen Projekten mache ich mir Gedanken, was an den Prozessen geändert werden sollte, um eine nachhaltige Verbesserung zu erzielen. Die Änderungsvorschläge werden mit dem Projektteam diskutiert, abgestimmt und schliesslich im Lastenheft festgehalten. Damit ist sichergestellt, dass die Prozessaufnahme und -optimierung sorgfältig durchgeführt und die Prozesse im neuen System effizient abgebildet werden.  

Prozesse während Systembetrieb optimieren 

Nun liegt es nahe, dass sich Prozesse im Laufe der Zeit weiterentwickeln oder verändern. Damit entsteht der Bedarf, kontinuierlich zu prüfen, ob die Prozesse noch optimal durch die Business Software unterstützt werden. Diese Aufgabe sollten auch die  Key-User, die bei der Evaluation eine wichtige Rolle gespielt haben, übernehmen. Sie haben zwischenzeitlich fundierte Kenntnisse der Möglichkeiten einer Business Software und können meist effizient und effektiv prüfen, ob Veränderungen in der Abbildung der Prozesse im System notwendig sind. Daraus lassen sich Massnahmen ableiten und umsetzen. Weiter haben die Key-User durch die Prozessanalyse und -optimierung gelernt, wie Prozesse durch die System-Brille zu betrachten sind und wann es erforderlich ist, im System einzugreifen.